Vergangenes

Vor ein paar Tagen war ich an einem Tag auf zwei Beerdigungen: zwei Menschen, die für mich immer mit der Kirchengemeinde verbunden waren, in der ich aufwuchs. Ihr Tod markiert deutlich den Wandel, der die Kirchengemeinden, aber auch die Zivilgesellschaft erfasst hat.

Die Bezirksfrau, Presbyterin und treue Gottesdienstbesucherin kannte ich schon als kleines Kind. Zuerst waren es nur die Kuchenstücke, die wir meist nach Geburtstagen, die in ihrer Großfamilie gefeiert wurden, bekamen. Doch später brachte ich jeden Samstag die Kirchenzeitung in ihr Haus, und beim Kassieren des Zeitungsgeldes steckte sie mir jedes Mal etwas Leckres zu. Noch später merkte ich erst, wie wertvoll sie für die Gemeinschaft war.

Sie kannte ihre Nachbarschaft. Sie sorgte sich nicht nur um ihre eigene Familie, sie hatte ein Auge auf viele Menschen in ihrem Bezirk. Sie ging nicht nur sonntags zur Kirche, sie lebte ihren Glauben, indem sie sich mit ihren Gaben in die Gemeinde einbrachte, bis ins hohe Alter - indem sie Menschen in ihrer unmittelbaren Umgebung besuchte, ihnen half, aber auch ihre Solidarität forderte, indem sie alljährlich für die Diakoniesammlung bei ihnen anklingelte, oftmals für kleine Beträge, die aber zusammen doch eine beachtliche Summe ergaben.

Einen Nachfolger, eine Nachfolgerin für sie gibt es nicht, über die Gründe kann sich jede/r selbst gedanken machen.

* * *

Der Organist, Kantor, Posaunenchorleiter und Musiklehrer war ein bescheidener Mensch. Er lebte seine Musik, in ihr ging er vollständig auf. Unermüdlich tat er seinen Dienst in der Kirchengemeinde, an den Sonntagen hatte er meist drei Gottesdienste, in denen er die Orgel spielte: Früh- und Hauptgottesdienst, und dann noch die einleitende Liturgie für den Kindergottesdienst. Oftmals sangen der Chor, der Kinderchor, spielte der Posaunenchor, fand sich ein Streichquartett zusammen, das er auf dem Cembalo der Gemeinde dann begleitete. Er muss auch mal Urlaub gehabt haben, aber in meiner Erinnerung war er jeden Sonntag da.

Er war auch mein Musiklehrer, später leitete er dann verschiedene Ensembles an der Schule, die ich besuchte. Höhepunkte ware - neben den Konzerten - die gemeinsamen Probewochenenden, an denen Chor und die verschiedenen Ensembles teilnahmen - die Probenarbeit war nicht immer einfach - und doch: ob Schule, ob Kirchengemeinde - Chor, Posaunenchor, die verschiedenen Ad-Hoc-Ensembles, der große Blockflötenspielkreis, alle diese Gruppen blieben recht lange beieinander, auch ich blieb nach meinem Abitur noch eine Zeit lang im Chor, spielte das ein oder andere Mal in unserer Kirche, sang.

Nachdem er in Ruhestand ging, war es aus mit der Kontinuität - und irgendwann musste die Gemeinde die hauptamtliche Kirchenmusikerstelle aufgeben. Seitdem kommen und gehen Nachfolgerinnen und Nachfolger, und manches an systematischer kirchenmusikalischer Arbeit gibt es nicht mehr.

* * *

Ja, die Zeiten haben sich geändert, ja, manches geht heute nicht mehr so wie "früher". Doch manchmal wünsche auch ich mir etwas Entschleunigung, ein Innehalten, um darüber nachzudenken, was passiert, wenn wir unseren Kirchengemeinden an der Kirchenmusik sparen, wenn in unseren Kirchengemeinden die nine-to-five-Mentalität vor den Pfarrhäuser nicht halt macht, wenn in unseren Kirchengemeinden die einfachen, modernen Wege der Kommunikation gewählt werden, statt den unbequeme Weg der persönlichen Ansprache zu wählen.

Ich perönlich kenne den Königsweg auch nicht, doch die Erinnerung an diese beiden Menschen hat mich sehr ins Grübeln gebracht.

  
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